Jung von Matt fährt Bahlsen ins Chaos. Der Leitspruch der dabei herauskam ist so sperrig wie sachfremd.
„Es ist dein Chaos. Genieße es! Mit einem Keks überzogen mit zarter Schokolade. LEIBNIZ. Der Keks.“
Im Spot, den man sich durchaus nicht ansehen muss, beißt eine sympathische junge Frau genüsslich die Augen schließend und überaus geräuschvoll knackend, dass einem beim Zuhören schon die Schneidezähne wehtun, in einen Keks mit halbseitigem Schokoüberzug. Dabei fällt ein Schokobrösel nach unten, aber es ist klar, selbst, wenn sie es bemerken würde, wäre es ihr gleichgültig. Sie ist tiefenentspannt. So entspannt wie man es eben oft nur unter Drogeneinfluss sein kann. Aber sie nimmt ja offensichtlich Schokolade zu sich und wie jedes Kind weiß, schüttet das Endorphine aus. So wie es bei Drogen eben ist.
Nun ist der herabfallende Schokobrösel, der allein schon bei vielen anderen Panik auslösen dürfte, lange noch nicht alles. Schnitt. Wir sehen die Szene noch einmal aus der Totalen in Zeitlupe und erkennen, während die Kekskonsumentin genießend und kleckernd auf einem Sofa in einem Wohnzimmer sitzt, landet rechts von ihr ein kleiner Junge auf einem dabei zerberstenden Sitzkissen, hinter dem Sofa strauchelt offenbar der Familenvater und verschüttet aus einem Glas im hohen Bogen eine ockerfarbige, zugegebenermaßen eklig aussehende Flüssigkeit und links jagt ein kleines Mädchen, das seinem Äußeren entsprechend sehr offensichtlich kein leibliches Kind der beiden Erwachsenen sein kann, einen Hund, der sich in einem Fußball verbissen hat, haarscharf an Bauklotztürmen vorbei.
Ein gar schreckliches Chaos eben!
Aber der offenbaren Mutter macht das alles nix aus. Sie hat sich ja gerade einen Drogenkeks zugeführt.
Gut, Schokolade wirkt nicht so stark wie THC oder auch Nikotin, aber der Effekt auf die Endorphine ist bei allen nicht zu leugnen.
Nach einem weiteren Schnitt folgt eine sehr kurze aufgeräumte Szene. Der Mann sitzt mit ernster Mine in einem dicken Buch blätternd im Hintergrund in einem Sessel, der Junge spielt ebenso unbelustigt artig auf dem Boden und das Mädchen liegt, offenbar doch Tochter und nicht etwa Spielkameradin des Jungen, auf dem Schoß der Frau auf dem Sofa, beide essen gemeinsam kichernd Schokokekse.
Was will uns dies Filmchen denn nun mit alldem sagen?
Wie passt das Ganze zum Aufruf, das „Chaos“ um Dich herum zu genießen? Und warum brauche ich dafür einen Keks?
Wie genieße ich überhaupt das „Chaos“ das ich gar nicht mitkriege, weil ich mich im Schokokeksgenuss verliere?
Und warum genieße ich umgekehrt schließlich maßlos weiter, obwohl das Chaos gar nicht mehr da ist?
Wer hat das Chaos hier eigentlich aufgeräumt?
Warum dürfen nur die weiblichen Personen Schokokekse essen bis sie kichern?
Warum sind drei Familienmitglieder Rolemodels eher der Art Butter- und warum eines mehr Schokokeks?
Klar gibt es viele Patchworkfamilien und das ist auch gut so, aber hat das was mit Chaos oder Genuss oder gar halbseitig schokoüberzogenen Butterkeksen zu tun?
Oder soll „Leibniz“ demnächst in „Chaos“ umbenannt werden und stellt dieser Film den ersten Akt dar?
Und wenn nicht, wie lange hält die Wirkung von einem Keks an?
Apropos, wen das nicht an die Zigarettenwerbung überkommener Tage erinnert, kann sich glücklich schätzen jünger zu sein und selbige nicht mehr erlebt zu haben.
Ja, die 80er sind zwar wieder in Mode, aber auch bei den Klamotten ist es bei genauem Hinsehen doch eigentlich so, dass es damals schon noch ein bisschen anders war. Was Zigarettenwerbung angeht durchaus nicht besser. Bei Klamotten mag man das anders sehen, jedoch wäre das eine andere Geschichte.
Zurück zur Aussage. Wenn Dir allzu schlechtes wiederfährt und bevor Du in die Luft gehst, blende es einfach aus, nimm nen Keks oder sonst was, das ne ordentliche Endorphindosis verabreicht.
Also klar dürfte wohl eins sein. Der Keks, auf dessen gelber Packung breit der „Nutriscore E“ prangt, der trägt jedefalls nix zur Ernährung bei. Und dabei hatten wir doch gehofft, dass wir Werbung, die hinterhofdealergleich Genussstoffe als Mittel zur Kompensation von Alltagsproblemen anbietet, schon eine Weile hinter uns gelassen hatten.